Depression kann in jedem Alter auftreten. Jenseits der 65 und im Kontext zu Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeitsverhältnis bekommt der Umgang mit der Depression oder depressiven Verstimmung nochmal eine ganz andere Facette, denn viele Betroffene der älteren Generation haben es nie gelernt über eigene Gefühle zu sprechen. In diesem Ratgeber erhalten Sie neben fachlichen Informationen auch viele Hilfestellungen, die Ihnen den Umgang mit einer Altersdepression erleichtern können und Brücken zwischen Ihnen und Ihrem zu pflegenden Angehörigen bauen.
Grundlagen zur Altersdepression
Depressionen treten im Alter auch nicht häufiger auf, als in anderen Lebensabschnitten, auch wenn das Vorhandensein von Risikofaktoren anderes vermuten lässt. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Risikofaktoren, die zu einer Depression führen können, im Alter häufen und aufsummieren. Zu den typischen Risikofaktoren zählen.
- Verlust nahstehender Menschen (Familienangehörige, Lebenspartner, Freunde)
- Verlust der Arbeit
- Gewöhnung an neue Lebensumstände
- Schwere Krankheit
- Veränderung der Lebensverhältnisse (zum Beispiel Berentung)
- Soziale Isolation
Dennoch konnte in diversen Studien kein signifikanter Anstieg der Depressionshäufigkeit im Alter festgestellt werden, sie treten nach wie vor am häufigsten in der Altersgruppe der 18-25-jährigen auf. Jedoch sind Depressionen die am häufigsten auftretende psychische Erkrankung im Alter und die mit Depression in Verbindung stehende Suizidrate ist im Alter besonders hoch. Was darauf schließen lässt, dass die subjektiv empfundene Ausweglosigkeit der Situation hier besonders stark ausgeprägt ist.
Symptome einer Altersdepression
Die Symptome einer Depression können sehr mannigfaltig und facettenreich sein und müssen sich nicht zwangsläufig nur mit dem Gefühlsleben des Betroffenen befassen. Jedoch können 3 Hauptsymptome identifiziert werden:
- Desinteresse: Der Betroffene verliert das Interesse an den Dingen, Tätigkeiten und Hobbys, die ihm früher Freude bereitet haben. Der Garten liegt brach, die sozialen Kontakte werden nicht mehr gepflegt und auch die Telefonate mit Enkeln oder Geschwistern in der Ferne werden seltener und sind nicht mehr von Freude gekennzeichnet. Ein wichtiger Leitsatz in der Depressionsdiagnostik ist „Ich habe an nichts mehr Freude!“
- Antriebslosigkeit: Das Desinteresse schleicht sich auch in Alltagshandlungen ein. Dem Betroffenen fällt es zunehmend schwerer sich auch für die alltäglichen Dinge aufzuraffen. Körperpflege, Haushaltsführung, Posterledigungen bleiben unerledigt oder erfordern für die Erledigung immense Kraftanstrengungen. Folglich ist der Betroffene schnell erschöpft und am Ende seiner Kräfte.
- Niedergeschlagenheit: Zu den beiden oben genannten Symptomen gesellt sich fast immer auch eine sehr gedrückte Stimmung. Alles scheint schwermütig, negativ oder auch trostlos zu sein. Fragt man den Betroffen offen, kommen häufig Äußerungen wie „es hat doch alles keinen Sinn (mehr).“ Oder „ist mir egal“. Die innere Leere dominiert sowohl die Gefühlswahrnehmungen, als auch die Gefühlsäußerungen.
Neben diesen 3 Hauptsymptomen gibt es noch eine Reihe von Begleitsymptomen, die sowohl die Seele, als auch den Körper betreffen können. Nicht selten maskiert sich eine Depression erst hinter einer Reihe dieser Begleitsymptome, bevor sie sich bei näherer Betrachtung und Hinterfragung durch die 3 Hauptsymptome diagnostizieren lässt. Folgende Symptome treten häufig im Kontext mit Depressionen auf, sind aber für sich allein betrachtet kein Diagnosekriterium dafür:
Psyche
- Negativismus
- Unruhe, Nervosität, Rastlosigkeit
- Angst- und Panikstörungen
- Mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Abwertungen gegenüber sich selbst
- Suizidgedanken
Körper
- Schlafstörungen
- Schmerzen (Kopf, Rücken, Gelenke oder diffus)
- Heißhungerattacken
- Appetitlosigkeit
- Kreislaufbeschwerden
- Magendarmbeschwerden
Ursachen einer Altersdepression
Heute weiß man, dass es nicht die eine Ursache gibt, die zu einer Depression führt. Es ist ein multifaktorielles Geschehen, was sich aus einschneidenden Erlebnissen (siehe weiter oben), genetischen Vorbelastungen und Mangelerscheinungen verschiedener Stoffe (zum Beispiel Hormone, Vitamine) zusammensetzen kann. Nicht immer müssen gentische Vorbelastungen oder Mangelerscheinungen eine Rolle spielen, aber häufig sind diese Faktoren an der Entstehung mitbeteiligt. Man hat mittlerweile herausgefunden, dass Betroffene von Depressionen häufig ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin aufweisen. Wobei noch nicht abschließend geklärt ist, ob dieses Ungleichgewicht zur Depression führt oder eine Begleiterscheinung der schon entstandenen Depression ist. Jedoch stellt die Beeinflussung dieser Transmitter eine Säule in der Behandlung der Depression dar.
Behandlung einer Altersdepression
Die Behandlung der Depression baut auf 2 Säulen auf. Zum einen handelt es sich dabei um die medikamentöse Therapie mittels verschiedener Antidepressiva. Diese können an verschiedenen Punkten ansetzen und sowohl stimmungs- und antriebssteigernd, schlaffördernd und dämpfend oder auch angstlösend sein. Welches Antidepressivum bei Ihrem zu pflegenden Angehörigen das richtige Mittel ist entscheidet letztlich der behandelnde Arzt anhand der vorliegenden Symptome und anderer Einschränkungen hinsichtlich bestimmter Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Niereninsuffizienz oder Leberstoffwechselstörung.
Zum anderen gehört in die Behandlung einer Depression auch eine psychotherapeutische Begleitung, die in Zusammenarbeit mit Ihrem zu pflegendem Angehörigen (und ggf. auch Ihnen) die zugrundeliegenden psychischen Ursachen bearbeitet, da eine isolierte medikamentöse Behandlung meist nicht das gesamte mögliche Heilungspotential ausschöpft.
Zeigen die Medikamente, trotz Wechsel der diversen Präparate, keine Wirkung wird in manchen Fällen auch die Anwendung der Elektrokrampftherapie überdacht. Hierbei wird unter Kurznarkose das Gehirn schwachen Stromstößen ausgesetzt. Sie wird in besonders schweren (therapieresistenten) Fällen eingesetzt, die aufgrund ihrer Schwere eine schnelle Verbesserung der Symptome notwendig machen, wie beispielsweise bei Suizidalität, Nahrungsverweigerung und wahnhaften Vorstellungen.
Typische Pflegeprobleme im Umgang mit Depressionen
Umgang mit (akuter) Suizidalität
Eine Depression steht oft in engem Zusammenhang mit Suizidgedanken. Gerade ältere Menschen neigen dazu, dieses Symptom in auffälliger Häufigkeit auszubilden. Hier spielen viele Beweggründe mit hinein, die dazu führen:
- Gefühl der Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit
- Gefühl der Ziellosigkeit („wofür denn noch“)
- Ertragen von ständigen Verlusten (soziales Umfeld, eigene Kräfte und Mobilität)
- Die eigenen Krankheiten sind alltagsbestimmend
- Gefühl der Unerträglichkeit der Situation
Und die statistischen Zahlen sprechen für sich: fast 40% der Menschen, die sich in Deutschland das Leben nehmen, sind über 60 Jahre alt. Sie sollten also darauf gefasst sein, dass Sie mit dem Thema Suizid während der Altersdepression Ihres zu pflegenden Angehörigen in Kontakt kommen könnten. Nehmen Sie deshalb folgende Anzeichen ernst:
- Die letzten Angelegenheiten: Ihr zu pflegender Angehöriger regelt plötzlich seine letzten Angelegenheiten, setzt ein Testament auf, verschriftet Vollmachten, verschenkt oder entsorgt seinen Besitz, regelt die Versorgung des geliebten Hundes.
- Vernachlässigung: Ihr zu pflegender Angehöriger wird nachlässig in seiner Eigenversorgung (Körperpflege, Haushaltsführung, Kochen) und der Durchführung vormals gern gemochter Tätigkeiten (Haustierpflege, Gartenpflege). Er nimmt Arzttermine nicht mehr wahr und holt notwendige Medikamente nicht mehr ab.
- Medikamentenmissbrauch: Fällt Ihnen auf, dass Ihr zu pflegender Angehöriger in der letzten Zeit vermehrt Schmerz-, Beruhigungs- oder Schlafmedikamente gebraucht hat, ist das ebenfalls ein Warnzeichen.
- Kommunikation: Manche Betroffene sprechen Suizidgedanken relativ offen aus. Dann sind Äußerungen wie beispielsweise „ohne mich seid ihr besser dran“, „ich wünschte, ich wäre nicht mehr da“ oder „dieser Zustand ist unerträglich für mich, ich kann so nicht mehr leben“. Es ist ein Trugschluss, dass Betroffene, die direkt solche Äußerungen treffen, sich nichts antun werden. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen offenen Hilferuf, den Sie ernst nehmen sollten. Im Gegensatz dazu kann es aber auch vorkommen, dass vormals redselige Betroffene plötzlich sehr in sich gekehrt, verschlossen und abblockend wirken.
- Offensichtliches Abschied nehmen: Ihr zu pflegender Angehöriger verfasst Briefe oder tätigt Anrufe bei früheren Freunden und Bekannten, entfernteren Verwandten und auch nahen Angehörigen und nutzt Formulierungen, die darauf schließen lassen, dass man sich nicht wieder sieht.
- Beschäftigung mit dem Tod: Ihr zu pflegender Angehöriger beschäftigt sich mit den Themen Tod und Sterben indem er beispielsweise sehr traurige Musik hört, Gedichte und Bücher zu diesen Themen liest. Außerdem bespricht er mit Ihnen konkrete Vorgaben zu seiner eigenen Beerdigungsfeier.
Was können Sie tun, wenn Sie diese Warnzeichen wahrnehmen?
- Sorgen ernst nehmen: Nehmen Sie die geäußerten Sorgen und Nöte Ihres zu pflegenden Angehörigen ernst und bagatellisieren Sie diese nicht. Mit Äußerungen wie „nun reiß dich mal zusammen“ oder „so schlimm ist dein Leben nun auch wieder nicht“ helfen Sie niemandem. Zeigen Sie sich stattdessen offen für die Belange Ihres Angehörigen. Entgegnen Sie auf konkrete Äußerungen beispielsweise so:
- „Du hast sowas in letzter Zeit öfter gesagt. Ich mache mir Sorgen, du könntest Dir etwas antun.“
- „Du scheinst großen Kummer zu haben. Magst Du darüber reden?“
- Auffälligkeiten konkret ansprechen: Mitunter spricht Ihr zu pflegender Angehöriger nicht über seine Gedanken, zeigt aber dennoch Warnzeichen einer Altersdepression, die eine Suizidalität vermuten lassen. Diese sollten Sie in entspannter Atmosphäre offen ansprechen. Sorgen Sie während des Gesprächs dafür, dass Sie tatsächlich auch Zeit dafür haben und Sie ungestört sind. Zur Gesprächseinleitung können Sie so beginnen:
- „Mir ist aufgefallen, dass Du in letzter Zeit … Ich mache mir große Sorgen, dass Du vorhaben könntest, Dir das Leben zu nehmen.“
- „Du sprichst in letzter Zeit häufig von der Unerträglichkeit deiner Situation. Tauchen bei Dir manchmal Gedanken an Suizid auf?“
Was können Sie in einer akuten Situation tun?
Es kann passieren, dass Sie Ihren Angehörigen gerade während eines Suizidversuchs (oder kurz davor) antreffen. Diese Situation ist emotional sehr belastend für beide Seiten und macht besonders viel Fingerspitzengefühl notwendig. Folgende Hilfestellungen könnten Ihnen helfen:
- Informieren Sie den Notarzt, wenn Sie Ihren zu pflegenden Angehörigen leblos oder bewusstlos vorfinden und leiten Sie lebensrettende Sofortmaßnahmen ein.
- Ist Ihr zu pflegender Angehöriger noch ansprechbar, fragen Sie konkret, was er getan hat, was er an Medikamenten eingenommen hat. Klären Sie Ihn auf, dass Sie nun zu seinem und Ihrem Schutz den Notarzt informieren werden.
- Lassen Sie Ihren Angehörigen nie allein.
- Informieren Sie Kriseninterventionsstellen (Seelsorge, Therapeut, Hausarzt), wenn Ihr zu pflegender Angehöriger seinen Plan noch nicht in die Tat umgesetzt hat. Diese können Ihnen auch am Telefon Tipps und Anweisungen über den Umgang mit der Akutsituation und die nächsten Schritte geben.
- Bleiben Sie mit Ihrem Angehörigen im Gespräch, um Zeit zu gewinnen.
- Informieren Sie weitere Angehörige, Freunde und Nachbarn, die Sie und Ihren zu pflegenden Angehörigen in der Situation unterstützen können.
Unterstützung bei der Therapie gegen Altersdepression
Nicht alle Depressionserkrankungen im Alter nehmen einen so akuten Verlauf, wie er oben beschrieben ist. Sehr oft kann Ihrem zu pflegenden Angehörigen auch in einer schweren Depression geholfen werden und Suizid wird nie ein Thema sein. Bei der Therapie wird es Ihre Aufgabe sein, Ihn dabei zu unterstützen, da zu sein und auch ein gewisses und behutsames Maß an Kontrolle auszuüben, um obige Situationen frühzeitig erkennen zu können. Fingerspitzengefühl, Behutsamkeit und Achtsamkeit sollten dabei Ihre ständigen Wegbegleiter sein, denn der Grat zwischen gewünschter Hilfestellung und Bevormundung ist hier sehr schmal. Natürlich können Sie Ihren Angehörigen an die regelmäßige Einnahme seiner Antidepressiva erinnern, aber behandeln Sie Ihn dabei nicht wie ein kleines Kind. Fragen Sie Ihren zu pflegenden Angehörigen, ob er wünscht, dass Sie Ihn zu seinen Therapiesitzungen begleiten oder Ihn hinfahren und wieder abholen. Stellen Sie nach den Sitzungen ruhig auch offene Fragen, wie beispielsweise „Gibt es konkrete Dinge, die wir als Deine Familie für dich tun können?“. Aber sehen Sie davon ab, das direkt nach der Sitzung zu machen. Lassen Sie Ihm erst einmal Zeit zum verarbeiten und Einordnen der Eindrücke.
Die eigenen Grenzen wahren
Eine Altersdepressionen naher Angehöriger können sehr belastend sein, auch wenn man selbst gar nicht von der Erkrankung betroffen ist. Die immerwährende Achtsamkeit im Umgang miteinander und die Behutsamkeit in der Kommunikation sind sehr anstrengend und fordern wahnsinnig viel Energie. Es ist also bei aller Hilfsbereitschaft ebenso wichtig, dass Sie auch auf sich achten. Sorgen Sie für ausreichend Erholungspausen und schöne Erlebnisse fernab der Pflegesituation mit Ihrem zu pflegenden Angehörigen. Sie haben genauso auch ein Anrecht auf ein Leben, auf Spaß und Freude. Räumen Sie sich ein Anrecht darauf ein und engagieren Sie Alternativen, die die Pflege Ihres zu pflegenden Angehörigen in dieser Zeit sicherstellen.
Wird ein Gespräch mit Ihrem zu pflegenden Angehörigen zu belastend für Sie, weil Sie merken, dass eigene Grenzen erschöpft werden oder Sie sich zum Beispiel aufgrund von anderen Terminlichkeiten gar nicht richtig darauf einlassen können, dann sprechen Sie das offen an. Finden Sie dann gemeinsam einen Ausweichtermin für das Gespräch, der dann auch unbedingt eingehalten werden sollte.